Jürg Meier Obertüfer
Ist Wettingen bereit für einen originalgrünen Gemeinderat?
Jürg Meier Obertüfer
1966Dr. Sc., Dipl. Phys. ETH, Patentanwalt, Abteilungsleiter; Präsident WettiGrüen, Mitglied Einbürgerungskommission; Präsident Pro Velo Region Baden
Jürg Meier Obertüfer im grossen Interview
Lieber Jürg, vielen Dank dass du dir Zeit nimmst für dieses Interview. Wir wollen versuchen deine Person den Wettinger WählerInnen etwas näher zu bringen.
Wieso kandidierst du für den Gemeinderat Wettingen?
Meine Kandidatur ist ein Zeichen für mehr Biodiversität im Gemeinderat – auch Zugezogene dürfen und sollen sich für eine lebenswerte und funktionierende Gemeinde einsetzen. Als solcher kann ich eine unverbrauchte, unbelastete und pragmatische Sichtweise einbringen.
Rechnest du dir Chancen aus?
In der aktuellen Konstellation mit drei freiwerdenden Sitzen ist alles denkbar. Aber ja, vielleicht hätte ich früher anfangen sollen mit Händeschütteln. Auf jeden Fall wird Wettingen im Herbst die breitestmögliche Auswahl für die Gemeinderatswahl haben, und dazu die Gelegenheit, erstmals einen originalgrünen Vertreter in die Exekutive zu entsenden.
Du bist der Drittjüngste unter den Kandidierenden. Ein Nachteil?
Ja, ich weiss, ich bin noch keine 60. Aber ein Nachteil – nein, ich denke ich bringe ausreichend Führungserfahrung und vor allem Motivation mit für dieses Amt.
Wo würdest du dich einbringen wollen?
Die Anpassungen des öffentlichen Raumes im Hinblick auf den Klimawandel und die nachhaltige Finanzierung von neuem Schulraum sind nur zwei der Herausforderungen, zu deren Lösung ich konstruktiv und pragmatisch beitragen will. Als Präsident von Pro Velo ist mir auch die Förderung der muskelunterstützten Mobilität und des öffentlichen Verkehrs als wichtige Elemente der Energiewende ein zentrales Anliegen.
Uuuh, wollen die Leute das Thema Klimawandel noch hören?
Der Klimawandel wird ja nicht mal mehr von Herrn Glarner bestritten. Wir müssen uns wohl oder übel darauf einstellen und verhindern, dass sich die Leute sommers nur noch in gekühlten Vehikeln durch ausgedorrte Strassen bewegen. Zur Einsicht, dass es definitiv nicht nachhaltig ist, alle fossilen Rohstoffe innerhalb von 200 Jahren zu verbrennen oder in Mikroform in der Umwelt zu verteilen, gelangt man aber tatsächlich auch ohne Klimadiskussion.
Du arbeitest in der Medizintechnik, bei der Ypsomed AG, spezialisiert auf Selbstmedikationssysteme für chronische Krankheiten. Ypsomed verdient auch an den Fett-Weg Spritzen, jedes Zuckerwasser trägt also zur Sicherung deiner Pensionskasse bei?
Das kann man vielleicht so sehen. Aber wenn sich die Leute gescheit ernähren und schon im Alltag ausreichend bewegen, zum Beispiel beim Velofahren, bin ich nicht unglücklich. Aus meinem beruflichen Umfeld habe ich auf jeden Fall eine Affinität zu Gesundheitsthemen.
Was genau macht ein Patentanwalt?
Meine Abteilung kümmert sich um den Schutz des geistigen Eigentums der Ypsomed, also der Erfindungen und Innovationen, welche die versierten emmentaler Entwickler heraustüfteln. Dieser Schutz geschieht zum Beispiel durch Patente, und zwar weltweit. Patentanwälte sind übrigens Naturwissenschafter oder Ingenieurinnen und keine Juristen, obwohl die Berufsbezeichnung dies vermuten lassen könnte.
Wie würdest du dich organisieren im Falle einer Wahl, oder wirst du sowieso durch KI ersetzt?
Der Ypsomed CEO und Nationalrat Simon Michel, bekannt durch Funk und Fernsehen, wäre wohl der Letzte, der seinen Mitarbeitenden ein politisches Mandat verunmöglicht. Ich kann meine Führungsfunktion auch mit einem 60% Pensum wahrnehmen. Und die KI generiert in unserem Bereich aktuell sowieso erst mal noch einen Haufen Zusatzaufwand…
Du bist auch Präsident von Pro Velo Region Baden, der regionalen Lobby für die Interessen der Alltagsvelofahrenden.
Genau. Bei meinem Umzug vor 27 Jahren von Bern nach Baden hatte ich den Eindruck, dass in der Region die Veloinfrastruktur gegenüber Bern noch eine Liga tiefer spielt. Nicht dass zuvor gar nichts unternommen worden wäre, ich bin bei jeder Fahrt nach Baden dankbar für den Einsatz meiner Vorgänger zu Gunsten des Velostreifens auf der Hochbrücke. Seither haben wir versucht, die Veloinfrastruktur weiter zu verbessern, und daneben gegen 200 Kindervelofahrkurse organisiert und durchgeführt. Kinder unterstützen und Erwachsene sensibilisieren, so kommen alle am besten ans Ziel.
Ist das Thema Velo nicht etwas eindimensional?
Na ja, andere bemühen sich um einzelne MIV-Park-Punkte, mein Fokus gilt immerhin Velo-Streifen. Das Velo ist halt ein Allerheilmittel – platzeffizient, unweltfreundlich, und gesundheitsfördernd. Wenn wir durch sichere und durchgehende Velobeziehungen mehr Personen von diesen Vorzügen überzeugen können, gewinnen alle, vor allem das Gewerbe und die Handwerker, wie zum Beispiel mein Holzpelletskaminfeger, welche unbestritten auf ein Auto angewiesen sind.
Veloförderung ist doch eher eine regionale Angelegenheit?
Pro Velo ist regional orientiert, hat aber wegen der Velobörse und der Velofahrkurse in Wettingen selbst auch eine dreistellige Anzahl Mitglieder. Zumindest wegen der günstigen Topographie ist Wettingen in der Region prädestiniert als Velo-Stadt, in welcher sich alle Personen zwischen 8 und 80 Jahren auf dem Velo subjektiv sicher fühlen können.
War Pro Velo auch der Start zu deinem politischen Engagement?
Ja, Dacfey Dzung hatte mich sehr schnell auf die Grünen Wahllisten gelotst, und vor 14 Jahren konnte ich dann für Werner Hartmann in den Einwohnerrat nachrücken. Ich versuche allerdings Pro Velo und WettiGrüen auseinander zu halten, das posieren mit Zweirädern zum Beispiel überlasse ich gerne anderen.
Du hast eine Interpellation verfasst zum Thema nachhaltige Einbürgerungspraxis. Damit kommt dieses Thema seit 10 Jahren wieder mal auf den Tisch. Worum geht es da?
Angeregt wird ein persönliches Vorgespräch mit der einbürgerungswilligen Person zu Beginn des Einbürgerungsprozesses, in welchem die Person darauf hingewiesen wird, wie sie die erwartete Integration und Vertrautheit mit den hiesigen Lebensverhältnissen belegen kann. Die Person wird dabei auf Lücken in ihrer Einbürgerungsqualifikation aufmerksam gemacht und entsprechende Nachbesserungsmöglichkeiten könnten verbindlich festgelegt werden.
Dieser Vorschlag generiert Mehraufwand und Mehrkosten?
Nicht zwingend. Ich erwarte dass durch den zweistufigen Prozess das Gespräch der optimal vorbereiteten und minimal nervösen Person mit der Einbürgerungskommission entsprechend effizienter abläuft oder das Gesuch von weniger Kommissionsmitgliedern beurteilt werden muss.
Die Schulden der Gemeinde sind ein Dauerthema. Wie stellst du dich dazu?
Gewisse Stimmen sagen ja, dass die Bevölkerung das Eisfeld im Tägi gewünscht, aber nie bezahlt hat. Betreffend Schulden bin ich vielleicht mehr relaxt als andere. Einerseits sind die Vorgaben des Kantons undifferenziert und berücksichtigen die geografische Standortgunst von Wettingen in keiner Weise. Andererseits bietet die Gemeinde auch etwas für das investierte Geld.
Das tönt jetzt aber etwas gar relaxt.
5000.- Schulden pro Nase bedeuten 100.- Steuern für den Schulddienst, das ist ok und hält niemanden davon ab, nach Wettingen zu ziehen. Der Schulddienst solllte aber gedeckelt werden, beispielsweise auf 1 Million, beziehungsweise der Steuerfuss sollte bei steigenden Zinsen automatisch erhöht werden um diese Deckelung zu gewährleisten und die Handlungsfähigkeit der Gemeinde in anderen Bereichen nicht zu gefährden.
Du bist auf den Sozialen Medien weniger präsent als andere GR Kandidaten.
Das ist korrekt. Vermutlich müsste ich mich auch mal filmen lassen bei meinen Klimmzügen oder beim Möbeltransport per Veloanhänger. Aber immerhin habe ich das Update der WettiGrüen Website noch auf die Reihe gekriegt – und für einen zweiten Wahlgang muss ich mich ja noch steigern können…
Auf besagter Website sind nicht alle Beiträge gleich ernst gemeint, oder?
Tatsächlich. Beim Geschirrspühlen kommen mir oft unkonventionelle Gedanken, eine Auswahl davon habe ich mal angefangen zu notieren. Und Humor hilft schliesslich immer.
Wie stehst du zu Gemeindefusionen?
Da bin ich für alles offen und vermute mal, dass einer Regionalstadt die Direktverbindung nach Bern nicht einfach so gestrichen werden würde. Aber kleine Integrationsschritte sind auch hilfreich, wenn zum Beispiel der FC Würenlos 200 m neben der Gemeindegrenze zu Wettingen einen Kunstrasenplatz errichten möchte, sollten doch Synergien gesucht und genutzt werden.
Abschliessend noch ein paar Leserfragen. Du trittst im Wahlkampf mit deinem vollständigen Nachnamen „Meier Obertüfer“ auf. Ist das nicht etwas umständlich?
Wie ich schon länger vermutet habe und wie ein Einwohnerratskollege kürzlich auch bestätigt hat, leben in Wettingen mehrere „Jürg Meier“. Unser Familienname „Obertüfer“ ist deutlich weniger verbreitet und daher ein gäbiges Abgrenzungsmerkmal.
Hast du Militärdienst geleistet?
Ja, tatsächlich, das habe ich, am Ende als Sergeant bei der Westschweizer Militärpolizei. Aber wirklich beeindruckt hat mich ein Studienkollege, welcher damals die Tortur der Gewissensprüfung auf sich genommen hat.
Bist du ein schräger Vogel oder ein Büenzli?
Wohl eher ein Büenzli, auch wenn das Plakat am Geländer der Treppe von der Seminarstrasse zum Bahnhofplatz auf das Erstere deutet. Ich mag kein Auspuffgeknatter und und lasse mich aufregen durch Hundekot und Batterietöffs auf dem Trottoir.
Erinnerst du dich an deinen Konfirmationsspruch?
Ja sicher: Micha 6, Vers 8. Ist auch eines meiner Lieblingspasswörter.
Du bezeichnest dich als Halber Aargauer, wieso?
Meine Mutter stammt aus Schafisheim. Ich war als Kind oft bei meinen Grosseltern auf der Matte in den Ferien, und habe dabei unter anderem meine entzündeten Mandeln im KSA gelassen.
Vielen Dank, und viel Erfolg!